Vom Lesefrust zur Leselust

Starten möchte ich diesen Blogbeitrag mit einer Beschreibung der Situation, in der ich mich immer wieder aufs neue befinde – und ich denke, Sie auch: Ich schlage das Buch auf, an dem ich schon ewig zu knabbern habe. Es liegt weder an meinem Roman, so denke ich, noch an der Person, die ihn schrieb. Doch aus irgendeinem Grund – vielleicht dem aktuellen Zeitgeschehen, vielleicht aber auch einfach aus einer Laue heraus – komme ich einfach nicht damit durch.

Aber heute, heute wird mein Tag, beschließe ich. Die Sonne scheint mir warm und freundlich ins Gesicht, ich habe mir für heute nichts mehr vorgenommen…und beginne zu lesen? Noch nicht. Ein kurzer Blick aufs Smartphone, eine neue Nachricht. Genug, um mich für bestimmt eine halbe, dreiviertel Stunde weiter in Beschlag zu nehmen. Aber jetzt! Jetzt ist Schluss! Ich lese die ersten Sätze, die ersten Seiten. Und dennoch fühlt es sich an, als würde die Zeit quälend langsam vergehen.

Ah, jetzt wird es spannend! Ein Rotkehlchen hat sich auf der Gartenhecke niedergelassen, kritisch beäugt es mich mit seinen durchdringenden, schwarzen Knopfaugen. Ich weiß, ich weiß… mein Blick senkt sich wieder. Wo war ich denn stehen geblieben? Wieder und wieder wird derselbe Satz aufs Neue gelesen, ohne dass ich überhaupt bemerke, wie sehr ich mich im Kreis drehe. Zwar nehme ich Bustaben, Wörter und Sätze wahr, doch kommen sie nicht bei mir an. Auf einmal realisiere ich: Ich langweile mich! Ich, die Stunden auf dem Sofa zubringen und ihre Nase in nichts anderes als in ein x- beliebiges Buch stecken konnte und ich, die Stammgästin in Bücherei und Buchhandlung war und ich, die im Freundeskreis für ihr schnelles Lesetempo auf Unglauben stößt – ich schaffe das alles nicht mehr. Und so wird der Stapel an Unbeendetem immer größer und größer und… größer? Nicht zwingend!

Gerne stelle ich hier die Bücher vor, die meinen Lesefrust zur Leselust werden ließen.

Piranesi – Susanna Clarke

Piranesi hat sein Leben der Erforschung des Hauses gewidmet, in dem er lebt. Labyrinthartige Korridore, gesäumt von unzähligen Marmorstatuen und unbarmherzige Gezeiten stehen hier an der Tagesordnung.

Er ist, abgesehen von wöchentlichen Treffen mit „dem Anderen“, sterblichen Überresten der Menschen vor ihm und der gelegentlichen Gesellschaft von Tieren, vollkommen alleine – für wie lange er das schon ist, weiß er nicht. Und doch ist er zufrieden mit dem, was das Haus ihm gibt.

Als rätselhafte Botschaften an den Wänden auftauchen, gerät Piranesis Weltbild aus den Fugen. Verliert er allmählich den Verstand?

In einer queer-feministischen Buchhandlung in Berlin entdeckt, überzeugte mich Piranesi zunächst mit seiner vergleichsweise geringen Seitenzahl: 272 an der Zahl.

Doch als ich anfing, die ersten Seiten zu lesen, hielt mich etwas an diesem Roman so fest, dass ich ihn nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Angefangen mit Piranesi, bei dem die Autorin einen menschennahen, teilweise aber auch leichtgläubig-naiven Protagonisten erschuf. In seinem fast kindlichen Urvertrauen erforscht der junge Mann höchst philosophische Fragestellungen, die auch auf das Leben außerhalb des Hauses angewandt werden können.

Liebevolles und detailorientiertes Worldbuilding, sowie Susanna Clarkes wunderschöner, poetischer Schreibstil und der außergewöhnliche Plot trugen sicherlich ihren Teil dazu bei.

Ich für meinen Teil konnte mich stundenlang zwischen den Zeilen und in den zahlreichen Räumen dieser anderen Welt verlieren, die Susanna Clarke so kunstvoll wie aus dem nichts und mit einem gewissen sprachlichen Zauber und Charme erbaut.

Eine kurzweilige Realitätsflucht, die aufgrund Piranesis philosophischem Charakter trotzdem noch lange nachhallt.

Das Archiv der Träume – Carmen Maria Machado

„Assoziationen schichtet man wie Ziegelsteine übereinander. Erinnerung an sich ist eine Form der Architektur.“

Mit diesem Zitat der Künstlerin Louise Bourgeois beginnt Carmen Maria Machado ihren Debütroman „Das Archiv der Träume“, in dem sie sich mit ihren eigenen Erfahrungen einer toxischen queeren Beziehung auseinandersetzt und alle literarischen Grenzen sprengt.

Jedes der Kapitel ist einem anderen Genre gewidmet: Liebesroman, Noir oder Apokalypse sind nur wenige Beispiele.

So gelingt es Machado, ein unbarmherziges und schonungsloses Bild ihrer damaligen Situation zu schaffen. An dieser Stelle wäre es eventuell angebracht, eine Triggerwarnung für explizite sexuelle Handlungen, sowie psychischer und physischer Gewalt zu setzen.

„Das Archiv der Träume“ ist sicherlich keine leichte Lektüre, doch seit Fitzeks „Augensammler“ oder Gerritsens „Die Chirurgin“ hat mich nichts mehr so gefesselt wie dieses Buch. Machado schafft es durch ihre ungewöhnliche Erzählperspektive und Struktur, dass ich mir einbildete, ebenso gefangen zu sein wie sie.

In einigen Kapiteln widmet sich die Autorin jedoch auch der Problematik von Stereotypen queerer Beziehungen oder stellt popkulturelle Bezüge her, was „Das Archiv der Träume“ auch auf eine ziemlich intellektuelle Position rückt, bei der ich noch viel lernen konnte- und Sie vielleicht auch!

Was ist mit uns – Becky Albertelli & Adam Silvera

Eine ganz andere, lockere und gewitzte Sichtweise auf gleichgeschlechtliche Beziehungen verspricht der Jugendroman „Was ist mit uns“- und hält dieses Versprechen auch.

Ben und Arthur begegnen sich zufällig in einer Postfiliale und können einander danach nicht wieder vergessen. Auf der Suche nacheinander und nach sich selbst begeben sie sich quer durch New York und erleben einen komplizierten Sommer voller neuer Erfahrungen und Freundschaften.

Der verträumte Ben und der chaotische Arthur könnten unterschiedlicher nicht sein, kämpfen jedoch beide mit realistischen Problemen und Unsicherheiten, mit denen sicherlich jeder junge Mensch etwas anfangen kann- hauptsächlich sind sie aber einfach nur ziemlich süß zusammen!

Mit „Was ist mit uns“ schufen Becky Albertelli und Adam Silvera einen authentischen, humorvollen und herzerwärmenden Roman, der mich mich nur so über die Seiten hat fliegen und des öfteren auch breit grinsen hat lassen.

Ein absoluter Feelgood-Roman, auch für Liebesgeschichtenmuffel wie mich!

Ihre Lea Dirnberger

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