Die größte Freude als Buchhändler ist, wenn nach langer Zeit wieder ein Buch des Lieblingsautors oder Lieblingsautorin erscheint. Bei den Unmengen der vielen fantastischen Büchern und Autor*innen die wir Buchhändler*innen lesen und bewundern dürfen, bleiben nur wenige dieser Werke in unserem Herzen haften.
Edouard Louis hat mit seinem Debütroman „Das Ende von Eddy“ 2014 in Frankreich für viel Furore und Aufmerksamkeit gesorgt. In seinem autofiktionalen Erstlingswerk schreibt er über sein Leben in einer Arbeiterfamilie im Norden Frankreichs, in dessen Gesellschaft er als Fremdling wirkt. Schon in Kindheitstagen fällt er durch feminine Bewegungen und nicht „männlichen“ Interessen auf, die sich stark von seinen Brüdern unterscheiden. Die Andersartigkeit reizt seine Familie, seinen Vater, seine Mutter und die Gesellschaft ihres Ortes. Das Leben von Eddy ist beherrscht durch die Macht des Vaters, der den ganzen Tag in der örtlichen Fabrik arbeitet und abends in der Kneipe oder Zuhause seinen Körper mit Alkohol zerstört und seine Familie tyrannisiert. In diesem Umfeld versucht Eddy dazu zugehören, sich zu integrieren, doch wie, wenn er mit seiner Feinfühligkeit und tänzerischer Anmut in seinem harten, schroffen Umfeld nur abgelehnt wird. Nach vielen Verletzungen, Erniedrigungen und Verurteilungen bleibt sich Eddy im Herzen treu und wird sich nicht mehr leugnen. Seine Befreiung aus der Unterdrückung des Vaters beginnt und er bekommt einen Platz auf dem Gymnasium.
Das Außergewöhnliche von „Das Ende von Eddy“ ist seine einmaliges Sprachspiel, in dem er seine eigene feine, sinnliche Stimme mit dem grauen vom Alkohol zerbrochenen Ton des Arbeitermilieus verbindet.
In seinem Buch „Wer hat meinen Vater umgebracht“ schreibt er über seine Annährung an seinen Vater, der durch einen Arbeitsunfall in die Arbeitslosigkeit rutscht und jede Sicherheit verliert. Mit dem Abstand der Zeit und der sozialen Veränderung vermag es Edouard Louis in diesem Buch auf seinen aggressiven Vater zuzugehen und Mitgefühl für Ihn zu empfinden.
Hier spricht aber auch eine politische Wut aus diesem jungen, besonderen Autor, der die Machtverhältnisse und gesetzlichen Ungerechtigkeiten in Frankreich kritisiert.
Und nun nach zweieinhalb Jahren warten, ist endlich sein neues Buch „Die Freiheit einer Frau“ erschienen. In diesem fantastischen Bändchen erzählt Edouard Louis von der Metamorphose seiner Mutter. Über zwanzig Jahre wurde sie von zwei Männern unterdrückt und musste sich nach den Wünschen und Vorstellungen dieser richten. Sie hat sich selbst versteckt und geleugnet. Der Austritt ihres besonderen Sohnes aus der Familie, genaueres erfahrt ihr in „Das Ende von Eddy“, bringt etwas in ihr zum Rollen und zeigt ihr, dass Veränderungen möglich sind. Eine Frau, die zerbrochen wirkte, entdeckt ihre eigene Freiheit zurück. Doch dann kam der Moment in ihrem Leben als alles zu viel wurde und sie ein Ende setzte. Am Ende des Tages stellte sie den Besitz ihres Mannes in Müllsäcken verpackt vor die Tür. Diese Verwandlung hat mich unglaublich glücklich gemacht und zu Tränen gerührt. Die Selbstermächtigung dieser Frau und ihre neu gewonnene Stärke wahrzunehmen, ist fantastisch und macht mich dankbar.
