Im Büro… von Susanne Dahmann

„Denn die einen sind im Dunkeln.
Und die anderen sind im Licht.
Und man sieht nur die im Lichte.
Die im Dunkeln sieht man nicht.“

So lautet nicht nur eine Textzeile in Bertold Brechts berühmter Dreigroschenoper, dieses Zitat trifft auch auf die meisten Übersetzer*innen literarischer Werke gleich welcher Art zu. Oder haben Sie sich – Hand aufs Herz- schon einmal Gedanken darüber gemacht, wem Sie es zu verdanken haben, dass Sie Harry Potter auf Deutsch lesen oder sich von nordischen Krimis fesseln lassen können, ohne auch nur ein Wort Englisch oder Skandinavisch zu sprechen?

Vermutlich nicht.

Allerhöchste Zeit also, einmal jene ins Blickfeld zu rücken, die uns das Lesen fremdsprachiger Bücher überhaupt erst ermöglichen, sofern wir der Originalsprache nicht mächtig sind. Und eine von ihnen wohnt sogar gewissermaßen direkt nebenan: Susanne Dahmann.

Im Literaturbüro über der Marbacher Stadtbibliothek, das die 60jährige mit zwei Kolleginnen teilt, fällt mein Blick sofort auf die große Bücherwand: alles Titel, die die gebürtige Bad Pyrmonterin im Laufe der Zeit aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragen hat. Besonders stolz ist Susanne Dahmann auf die Übersetzung der Biografie von Raoul Wallenberg – des schwedischen Sondergesandten, der im Zweiten Weltkrieg tausenden ungarischen Juden das Leben rettete, von den Sowjets als Spion verhaftet wurde und auf rätselhafte Weise verschwand.

Und da sind wir auch schon bei einer Besonderheit, die die Marbacherin von vielen anderen Übersetzer*innen unterscheidet – sie ist in den Sachbüchern genauso zu Hause wie in Krimis oder Romanen.

Aber erst mal zurück auf Anfang: Wie wird man Übersetzer*in? Und warum ausgerechnet für Schwedisch? Eigentlich wollte die großgewachsene Frau mit dem langen Zopf nach dem Abitur nämlich Englisch studieren. Aber als sie bei einer Informationsveranstaltung sah, wie viele junge Leute den gleichen Plan hatten, ging sie kurzerhand einen Raum weiter. Da hockten nur 15 Interessenten für Skandinavistik – und schon war die Entscheidung gefallen. Zumal ihr die Sprache beziehungsweise die Sprachmelodie durch viele Schweden-Urlaube mit ihren Eltern bereits geläufig war.

Nach dem Studium in Kiel und Freiburg mit Geschichte und Philosophie als weiteren Fächern landete sie beim Stuttgarter Kreuz Verlag, wo sie für die Bereiche Psychologie und Lebenshilfe zuständig war. Und im dortigen Lektorat nutzte Susanne Dahmann die Gelegenheit, erstmalig ein Buch aus dem Schwedischen zu übertragen. „Wir Väter“ lautete der Titel des Ratgebers eines schwedischen Arztes, der schon vor 30 Jahren die Bedeutung von Vätern bei der Erziehung betonte. Das Interesse an Sachbüchern hat sie seitdem nicht verloren. „Es macht schlau. Und mit solidem Halbwissen meistert man jeden Smalltalk“, lacht sie.

Mittlerweile sind allerdings eher Krimis ihr Brotgeschäft, die in Schweden übrigens alles andere als verwerflich seien. Ob Kristina Ohlsson oder David Lagercrantz – Susanne Dahmann kennt sie alle und genießt die Wertschätzung, die ihr von den schwedischen Autoren entgegengebracht wird. „Für die ist es eine große Sache, ins Deutsche übersetzt zu werden“, weiß die 60jährige und erinnert daran, dass zum deutschsprachigen Raum schließlich ja auch Österreich und die Schweiz gehörten.

Im eigenen Land sieht es mit der Anerkennung allerdings etwas anders aus, obwohl der Übersetzer rechtlich als Urheber der deutschen Fassung gilt und damit geschützt ist. Er muss nicht nur an der Verwertung des Werkes beteiligt werden, sondern hat auch den Anspruch auf die Nennung seines Namens. Allerdings – so Marieke Heimburger, die Vorsitzende des Verbands deutscher Übersetzer*innen – bleibt das sogenannte Normenseitenhonorar oft die einzige Vergütung. Und auch die Namensnennung handhaben die Verlage völlig unterschiedlich, weshalb branchenintern erst vor kurzem ein heftiger Streit entbrannt ist. Während es beim jüngst ausgezeichneten Guggolz-Verlag sowie auch bei Mare selbstverständlich ist, dass die Übersetzer*innen bereits vorne auf dem Cover erscheinen, sind andere Häuser eher zögerlich und begnügen sich damit, den Übersetzer*innen auf der hinteren Klappe zu erwähnen.

Die sympathische Marbacherin plädiert dafür, die Kirche im Dorf zu lassen. „Übersetzen ist ein einsamer Job im einsamen Kämmerlein“, weiß sie aus 30jähriger Erfahrung. Nicht jeder Kollege sei eine „Rampensau“ und wolle unbedingt ans Licht der Öffentlichkeit. Gleichwohl plädiert auch sie für eine angemessene Würdigung und vor allem auch Bezahlung.

Denn die steht nicht immer im Verhältnis zur Arbeit und Verantwortung, die man beim Übersetzen eines Romans übernimmt. In der Regel laufe es so, dass ein Verlag ein in aller Kürze zu erstellendes Gutachten anfordere, bevor er die Übersetzungsrechte an einem Buch einkaufe. Auf nicht mehr als zwei Seiten müsse dann nicht nur der Inhalt dargelegt werden, sondern vor allem auch die Einschätzung, wie erfolgsversprechend der Titel auf dem deutschen Markt sei. Susanne Dahmann erinnert sich noch allzu gut daran, mit wie viel Herzklopfen sie in der Anfangszeit die Bestsellerlisten danach durchsucht habe, ob ein von ihr abgelehnter Roman bei einem anderen Verlag zum Hit geworden sei. „Dazu gehört schon viel Kompetenz“, ist sie sich sicher. Letztendlich müsse man Land und Leute besser kennen als der Autor selbst. Und ein gehöriges Maß an Sprachgefühl haben sowie die deutsche Sprache perfekt beherrschen. Fontane gelesen zu haben, könne dabei nicht schaden. Aber wann ist eine Übersetzung auch gelungen? „Wenn ich das Gefühl habe, dass der Autor durch mich deutsch sprechen kann“, antwortet sie, „wenn man nicht mehr erkennt, dass übersetzt wurde.“

Dass sie über das nötige Sprachgefühl verfügt, muss die dreifache Mutter, die viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, schon längst nicht mehr unter Beweis stellen. Wer wie sie neugierig auf Menschen und Themen ist und sicherlich auch am Erfolg von Titeln wie „Der Inder, der mit dem Fahrrad nach Schweden fuhr“ ihren Anteil hat, muss um fehlende Aufträge nicht bangen. Bis Mitte nächsten Jahres ist sie ausgebucht. Und sie kann sich mittlerweile auch aussuchen, was sie übersetzt. Schlecht geschriebene oder gewalttätige Texte lehnt sie ab, und das Wildern in fremden Revieren kommt für sie absolut nicht in Frage.

Ihre jungen Kollegen indes beneidet sie nicht. Anders als sie, die durch die Arbeit in Lektorat und Vertrieb geschult worden sei und von vielen Kontakten habe profitieren können, fingen junge Uni-Absolventen heute oft bei null an. An einen ersten Auftrag zu kommen, sei unglaublich schwierig. Zwar gebe es heutzutage Mentoring-Programme, die Anfänger gewissermaßen an die Hand nähmen, aber ohne Praktikum ginge selten etwas. „Kontakte sind das A und O“, betont die 60jährige, die ihr Wissen auch schon als Gastdozentin für ein Semester weitergegeben hat.

Nach zwei Jahren Corona, in denen sie gefühlt am Stück gearbeitet habe, freut sich die passionierte Zeitungsleserin jetzt endlich auf eine Auszeit – Wandern im unwegsamen Fjäll- Gelände Nordschwedens. Wo auch sonst!

Gute Reise und hejdå!

Und hier eine kleine Auswahl der Bücher, die Susanne Dahmann übersetzt hat:

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